Solares Trinkwasser von vielen für alle
In der ersten Runde des Prototype Fund Hardware werden sechs Projekte gefördert. In dieser Interviewserie stellen wir sie vor. Diesmal sprechen wir mit der Libre Water Crew. Spyros (Patentingenieur und Maschinenbauer), Simon (Chemieingenieur und Social Entrepreneur) und Tom (Industriedesigner und Produktentwickler) bilden ein deutsch-griechisches Open Source Hardware Entwicklerkollektiv. Zusammen arbeiten sie daran, eine Technologie zur Entsalzung und Aufbereitung von Wasser zu liberalisieren.
An was arbeitet ihr genau?
Es kommt darauf an, auf was sich die Frage bezieht. Geht es um unser aktuelles Projekt, an dem wir gemeinsam arbeiten, ist sie leicht zu beantworten. Geht es um das, worauf wir langfristig hinarbeiten, wird die Geschichte länger. Auf den Punkt gebracht: Wir sind ein deutsch-griechisches Open Source Hardware Entwicklerkollektiv, das aktuell an “Libre Water” arbeitet. Wir nutzen die Technologie der solaren Meerwasserentsalzung und entwickeln ein einfaches System, mit dem Menschen in ihrer Region mittels Sonnenenergie Wasser selbst entsalzen oder reinigen können. Das System ist kompakt und kann mit gängigen Werkzeugen und Maschinen nachgebaut oder angepasst werden, die auch in Makerspaces vorhanden sind.
Wie funktioniert das Verfahren?
Es handelt sich um ein seit den 1960ern entwickeltes Verfahren, das sich “Vertical Multiple-Effect Distillation” nennt. Es basiert auf einer einfachen Beobachtung der Natur: Wenn Wasser erhitzt wird, verdampft es und kommt nach der Wolkenbildung wieder als Regen zurück. Wir machen das gleiche, nur in einer Box.
Vertical Multiple-Effect Distillation im Betrieb. Energie wird nur auf die erste Platte links im Bild zugeführt und produziert über mehrere Kammern hinweg Frischwasser.
Dabei lassen wir Salzwasser über eine erhitzte vertikale Platte laufen, dort verdampft es zu purem Wasserdampf und schlägt sich auf einer direkt gegenüberliegenden zweiten Platte nieder, der Dampf kondensiert. Bei der Kondensation wird Wärme wieder freigesetzt und über die Metallplatte an einen nächsten Salzwasserfilm auf der Rückseite übertragen. Das Wasser vom zweiten Film verdampft ebenfalls und kondensiert als Frischwasser an der nächsten Platte und so weiter. Die einmal zugeführte Energie wird also über die Stufen immer wieder verwendet. Das ist elementar, um eine höhere Effizienz zu erhalten.
Die Rückgewinnung der Kondensationsenergie findet üblicherweise über bis zu 10 Stufen statt. Wasser verdampfen zu lassen kostet viel Energie. Etwa 2300 Kilojoule pro Liter – das ist etwa so viel Energie wie in einer 100g Tafel Schokolade steckt. Deshalb ist ein Betrieb durch solar-thermische Energie kombiniert mit Energierückgewinnung sinnvoll.
Je nach Wärmeleistung, die in das System gebracht wird, dem Aufbau und den verwendeten Materialien, lassen sich damit unterschiedliche Mengen Wasser produzieren. Auf industrieller Ebene existieren ähnliche Systeme schon lange. Die Herausforderung ist, eine kompakte Version zu bauen, die einfach reproduzierbar ist, aus Materialien besteht, die günstig und vor Ort leicht zu bekommen sind und die gleichzeitig einen annehmbaren Output an Süßwasser produzieren kann. Ein sinnvolles Ziel sind 100 L/Tag. Das würde den täglichen Bedarf an Trinkwasser einer Familie decken.
Welche Technologie gibt es sonst für solare Meerwasserentsalzung?
Filtern über Umkehrosmose in Kombination mit Photovoltaikpanels ist die gängige Technologie zur dezentralen solaren Entsalzung. Das Verfahren bietet eine deutlich höhere Wasserproduktion, aber auch andere Herausforderungen. Es herrschen extreme Drücke von 60 bar und die empfindlichen Filter können nur großindustriell an wenigen Standorten produziert werden. Außerdem wird elektrischer Strom benötigt sowie Expertise für die Wartung.
Dennoch: Alle Technologien haben ihren Platz, wenn es um die Herausforderung geht, Wasserknapptheit zu bekämpfen. Es gibt sie nicht, die eine Wundertechnologie, die uns erlöst – auch wenn das öfter so dargestellt wird. Hunderte von Millionen Menschen haben keinen Zugang zu Trinkwasser. Wir finden, da ist Konkurrenzkampf zwischen Technologien und Unternehmen fehl am Platz.
Was ist eure Vision, für wen entwickelt ihr Libre Water?
Wir wünschen uns ein Netzwerk, das überall aus lokalen Materialien, basierend auf einem freien, digitalen Design gemeinsam Anlagen baut und enwtickelt. Es geht also um globale, grenzenlose Innovation in Echtzeit, die von wissenschaftlicher Forschung bis zu den Nutzenden reicht. Ein Raum, in dem alle Menschen gleichberechtigt teilhaben. Ein Ökosystem, aus dem solide, ganzheitliche Lösungen erwachsen. Das alles können wir auf der Basis von Open Source Hardware und digitaler Produktion aufbauen.
Unsere Zielgruppe sind Menschen, die in sonnigen, aber wassergestressten Regionen leben. Wir möchten ihnen mit dem Netzwerk eine Lösung anbieten, die sie selbst in der Hand haben. Sie können das System in nahegelegenen Makerspaces selbst bauen, nutzen und mitentwickeln. Gleichzeitig möchten wir auch gemeinsam mit lokalen Makerspaces daran arbeiten, dass sie auf der Grundlage des Designs ein soziales Unternehmen aufbauen können.
Wir möchten dafür von Nutzenden oder Produzierenden keine Bezahlung, wünschen uns aber Beiträge zur Innovation, z.B. Designvorschläge und Problemstellungen aus der Anwendung am Einsatzort.
Wir sind zuversichtlich, dass das eine Symbiose ergeben wird. Das soziale Netzwerk steht für uns also im Mittelpunkt. Alle können das Design nutzen, es nachbauen, optimieren und – wenn sie möchten – sich der Community anschließen.
Der Aufbau des ersten Libre Water Prototypen
Wie gelingt es euch, dass euer Design auch Menschen erreicht, die es brauchen?
Wir fragten neulich einen Kollegen aus Ghana: “Was ist so spannend an Open Source Hardware im afrikanischen Kontext?” Er antwortete: “We can make it ours”. Entscheidend ist und wird sein, einladend zu kommunizieren und klarzumachen, dass es nicht “unser eigenes Design” ist. Das Verständnis von “meiner Idee”, “meinem Design” ist in westlichen Gesellschaften das gängige Innovationsverständnis. Das sehen wir anders. Dafür sollten Design und Dokumentation über Kulturen und Bildungsgrad hinweg verständlich und mitgestaltbar sein. Dann öffnet sich die Chance für vielseitige Designperspektiven und tiefere Kollaboration. Der erste funktionierende Prototyp, den wir dank der Förderung des Prototype Fund Hardware voranbringen konnten, ist jetzt eine gute Basis, um die internationale Zusammenarbeit zu intensivieren. Denn er ist noch keine fertige Anlage. So können ihn andere ebenfalls zu ihrem Projekt machen.
Im Gegensatz zu Patenterfindungen, wo ein Design einen hohen Reifegrad haben muss, weil es zum Schutz “eingefroren” wird, geht es bei Open Source Hardware um kontinuierliche, endlose Evolution. Um die Basis dafür zu legen, haben wir auf Zugänglichkeit, Kreislauffähigkeit und günstige Produktion geachtet, so dass das Kernmodul von fast jedem Makerspace der Welt vorangebracht werden kann und so gleichzeitig aus dem lokalen Kontext erwächst.
Wieso stellt ihr euer Design als Open Source zur Verfügung?
Open Source Hardware ermöglicht neue Freiräume in der Technologie- und Organisationsentwicklung. So können wir mit dem Fokus auf die beste Lösung grenzenlos zusammenarbeiten. Uns geht es darum, Menschen in Verbindung zu bringen, Netzwerke aufzubauen, die sich mittels einer Technologie, geteilten Werten und Fähigkeiten selbst helfen können. Uns allen gehört Libre Water. Und das ist das schöne daran und hat viele Vorteile. Zum Beispiel macht es einen großen Unterschied, wenn wir als Open-Source-Projekt an die Tür von Forschunginstituten oder bei Expert:innen aus jeglicher Disziplin anklopfen und Rat suchen.
Durch Open Source Hardware streichen wir die Gewinne, die wir aus dem Verkauf der konventionell geheimen Lösung erhalten würden. Dadurch bekommen wir aber eine nie dagewesene Möglichkeit, die Frage von Wertschöpfung neu zu betrachten: Für wen oder welche Organisation können wir welche Werte schaffen? Wo können wir überall andocken, ohne Kompromisse einzugehen?
Um nur ein Beispiel zu nennen: Studierende an Universitäten könnten in Übungen ein Arbeitspaket im Projekt Libre Water übernehmen und so motiviert im Team, zu einem globalen, interkulturellen sowie inderdisziplinären Projekt beitragen.
Seid ihr auf besondere Probleme gestoßen, weil ihr euer Produkt Open Source gestaltet?
Natürlich hatten wir Phasen, in denen es mal schlechter lief. Wären wir ein konventionelles Start-Up, an dem die Gründer Anteile halten und externe Investoren ihre Interessen einbringen, dann wären wir möglicherweise schon gescheitert. Dank Open Source können wir aber verständnisvoller sein und das Projekt flexibler in unsere Lebensrealität einbinden und so die Mission im Auge behalten.
Außerdem sind wir, wie viele Open-Source-Hardware-Projekte, unterfinanziert im Verhältnis zur Energie, die wir aufbringen. Wir gehören zu den wenigen Pionieren, die sich gerade in einem Bereich aufhalten, der von bisherigen Förder- und Finanzierungsmodellen kaum berücksichtigt wird. Es ist eine Herausforderung, Dinge anders zu machen. Doch sollte nicht genau das unterstützt werden?
Im Großen und Ganzen überwiegen die Vorteile. Gerade im aktuellen, tendenziell dystopischen Kontext müssen wir den Mut haben, gemeinsam Innovation neu zu gestalten.
Gibt es Zukunftspläne?
Als nächstes kommt die Community-Phase. Mit der veröffentlichten Dokumentation möchten wir herausfinden, ob andere das Design leicht nachbauen und nutzen können. Vor allem freuen wir uns auch über Menschen, die aktiv mittel- oder langfristig Teil des Projekts werden wollen. Sei es für Technologie- oder Organisationsentwicklung. Denn auch das ist ein Teil von Nachhaltigkeit, der durch Open Source ermöglicht wird: Das Projekt kann sich unabhängiger von uns weiter entfalten.
Langfristig möchten wir uns neben Libre Water auch anderen Technologien widmen. Ziel ist es, weitere Samen zu pflanzen, um Open Hardware weiter wachsen zu lassen und in die Breite zu bringen. Zum Beispiel durch die Unterstützung existierender Open-Source-Hardware-Projekte oder durch die Aufarbeitung ausgelaufener Patente. Außerdem arbeiten wir daran, Schnittmengen zwischen ganzheitlicher Produktentwicklung, Circular Economy und Open Source Product Development herauszuarbeiten und Designmethodiken zu teilen, die anderen Projekten die Arbeit erleichtern.
Wie kann ich mich beteiligen?
Unser Design ist jetzt online. Wir suchen Menschen, die es lokal testen oder verbessern möchten. Außerdem suchen wir Unterstützung beim Aufbau eines Geschäftsmodells. Wenn ihr Teil der Community werden möchtet, schreibt uns.