14.Mar 2022

Open Hardware und Medizintechnik: Wie die MRT-Technologie leichter zugänglich wird

Dr. Lukas Winter arbeitet seit dreieinhalb Jahren als Wissenschaftler bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Berlin, in der Arbeitsgruppe Biomedizinische Magnetresonanztomographie. Dort forscht er an der Niedrigfeld-Magnetresonanz (Niedrigfeld-MR) und der Sicherheit von MR Systemen. Außerdem hat Lukas die Plattform opensourceimaging.org gegründet. Im Interview erklärt er wieso Open Source Hardware wichtig für die Wissenschaft ist und wie die Magnetresonanztomographie zugänglicher gemacht werden kann.

Du setzt dich ein für Open Hardware in der Wissenschaft, warum?
Wie in jedem Gebiet gibt es in der Wissenschaft nur endliche Ressourcen. Diese Ressourcen werden oft dazu eingesetzt teure Maschinen zu kaufen oder Personal einzustellen, um wenig oder schlecht dokumentierte Arbeiten zu reproduzieren. Allerdings ist das nicht sehr effizient, um Innovationen zu schaffen und möglichst viele kluge Köpfe in diesen Prozess zu integrieren. In der Regel möchte ich als Wissenschaftler ein bestehendes System weiterentwickeln, es erforschen und nicht den Status quo mühsam reproduzieren. Geschlossene Systeme erschweren das ungemein und blockieren den Fortschritt.

Welche Vision steckt dahinter?
Wenn man Wissenschaft als globalen Körper, als eine Art Schwarmintelligenz begreift, dann müssen die in diesem Kontext geschaffenen Technologien offen sein, weil nur so eine effiziente Falsifikation und Weiterentwicklung stattfinden kann. Kooperation ist in der Summe deutlich produktiver als Konkurrenz. Reviewer bzw. Journals könnten ja die offene Dokumentation einer entwickelten Hardware auch zum notwendigen Gegenstand einer wissenschaftlichen Veröffentlichung machen. Das passiert bisher kaum. Und so bleibt der konkrete techische Aufbau, mit dem eine Erkenntnis gewonnen wurde, häufig unklar. Unabhängig davon profitieren einfach viel mehr Menschen davon, wenn eine entwickelte Technologie offen zur Verfügung steht. Studien haben gezeigt, dass der Bau von Open Source Hardware Geräten nur ca. ein Zehntel des Preises von vergleichbaren kommerziellen Produkten kostet. Durch die Offenheit kann man zusätzlich die Funktionalität anpassen und Innovationen schaffen oder die Geräte einfach reparieren und somit nachhaltig nutzen. So wird auch der wissenschaftliche Prozess an sich geöffnet und verbleibt nicht bei einem exklusiven Club. Kluge Köpfe aus ressourcenarmen Gebieten müssen nicht dauerhaft an reichen europäischen oder amerikanischen Universitäten forschen, weil nur dort die Ausrüstung zur Verfügung steht. Sie könnten Innovationen in die Welt tragen, lokal anpassen und über die Open Source Philosophie mit anderen Regionen verbunden bleiben. Open Source Hardware öffnet also nicht nur konkrete Objekte, sondern macht Wissenschaft zu einem verbindenden Element – das ist eigentlich die große Vision dahinter. Es bleibt dabei auch nicht “nur” bei der Wissenschaft. Auch die Medizintechnik, die damit verbundene Industrie und das Gesundheitssystem würden ungemein von dieser Offenheit profitieren.

Wie zahlen deine eigenen Projekte darauf ein?
Wir haben aktuell in einer internationlen Gemeinschaft das Niedrigfeld-MRT OSI² ONE entwickelt und veröffentlichen gerade die Open Source Dokumentation dazu (https://gitlab.com/osii-one). Die beinhaltet alle Schaltpläne, um das Gerät weiterentwickeln zu können, alle Produktionsdokumente, um das Gerät nachbauen zu können und die Bedienungsanleitung inklusive offener Software, um dieses Gerät betreiben zu können. Langfristig wird die Dokumentation auch dahingehend angepasst, um die Richtlinien der aktuellen europäischen Medizinprodukte-Verordnung größtenteils zu erfüllen. Mit all diesen Informationen im öffentlichen Raum wird es für Firmen deutlich einfacher sein, zertifiztierte Medizinprodukte, die auf diesem Open Source MRT aufbauen, in Umlauf zu bringen. Und wenn es einfacher ist, sollte die Zahl der Anbieter auf dem Markt steigen, was zu niedrigeren Preisen, mehr Auswahl auch in ressourcenarmen Regionen, lokalerer Produktion und einem höheren Innovationspotential führt.
OSI² ONE macht bereits gute Bilder und soll langfristig die Magnetresonanztomographie zugänglicher machen. Denn normalerweise werden bei großen MRT-Systemen supraleitende Elemente benötigt und es fallen hohe Kosten an, ca. eine Millionen Euro je Tesla. Dazu kommt noch einmal ca. eine Millionen für Serviceverträge mit dem Hersteller, um das Gerät über 10 Jahre betreiben zu können. Ein Niedrigfeld MRT ist perspektivisch wesentlich günstiger. Es werden Permanentmagnete verwendet, die sich jeder kaufen kann. Beispielsweise benötigt man weniger als 30.000€ für Material, um OSI² ONE nachzubauen. Der Zugang zu Informationen von diesem Open Source System ermöglicht außerdem einen einfachen Betrieb, so dass nicht nur die Anschaffungskosten sinken, sonder eben auch die Wartungskosten. Da freut sich das Gesundheitssystem. Man kann den Betrieb der Geräte inklusive Reperaturen einfacher durchführen, was ein kritisches Argument ist für z.B. Entwicklungsländer, wo etliche Medizingeräte ungenutzt rumstehen, weil der Betrieb zu teuer ist oder anders gesagt: weil der Zugang zu Informationen fehlt.
Aber auch in Deutschland sind Niedrigfeld MRTs spannend und es werden mehr solcher Geräte auf den Markt kommen. Das Magnetfeld ist zwar schwächer und somit auch das Signal-zu-Rausch Verhältnis, aber dafür ist es auch sicherer und ausreichend für viele Anwendungen. Diese Geräte sind auch deutlich leichter und mobiler, so daß ein MRT zum Patienten kommt, wie zum Beispiel auf Intensivstationen. Durch die geringeren Kosten sind auch Anwendungen in kleineren Krankenhäusern oder sogar Artztpraxen vorstellbar. Das klassische MRT wird also nicht ersetzt, sondern sinnvoll erweitert. Natürlich wäre es schön auch ein klassisches Hochfeld MRT als Open Source Gerät verfügbar zu haben, allerdings ist es im Forschungskontext nicht einfach supraleitende Magnete leicht zu reproduzieren. Mit einem Niedrigfeld MRT können wir eine Open Source Strategie aber wunderbar exerzieren.

Wo du es ansprichst: Wie wichtig ist es, dass Open Source Hardware dezentral reproduzierbar ist?
Grundsätzlich ist jede Veröffentlichung von Wissen ein Mehrgewinn, auch wenn es sich vielleicht um eine hochkomplexe und erst mal nicht oder nur schwer reproduzierbare Technologie handelt. Aber das hat natürlich weniger Impact. Daher würde ich sagen, dass es schon wichtig ist, dass Open Source Hardware dezentral reproduzierbar ist – also ohne Monopole auskommt. Nur so entfaltet sie ihr volles Potential. Das bedeutet, dass der Gegenstand so designt sein sollte, dass er aus Materialien besteht und mit Verfahren aufgebaut werden kann, die verbreitet sind.

Auf welche Herausforderungen stößt du bei der Entwicklung von Open Source Hardware?
Das Problem ist, dass es eigentlich nicht wirklich Vorlagen oder Blueprints gibt, die zeigen, wie das, was wir machen, angegangen werden kann. Damit meine ich nicht nur die Art der Dokumentation, sondern auch den organisatorischen Prozess, den Aufbau und die Kommunikation mit einer Community sowie geeignete Entscheidungsprozesse. Das ist besonders dann eine Herausforderung, wenn es größere, technisch komplexere Open Source Hardware Projekte sind. Es gibt auch kaum Anlaufstellen mit geeigneter Expertise in den öffentlichen Forschungseinrichtungen, wie es sie bei klassischen Abläufen mit Patentanmeldungen und Ausgründungen gibt. Die nötige Infrastruktur nach dem Entwicklungsprozess fehlt und als Entwickler hat man einen großen zusätzlichen Aufwand, wenn man sich für den Open Source Weg entscheidet. Das trägt stark dazu bei, dass es verhältnismäßig wenige Open Source Hardware Projekte gibt und noch wenigere die langfristig gepflegt werden. Das ist sehr Schade, denn für die breite Masse ist das Wertpotenzial solcher Projekte immens.
Eine anderes Problemfeld ist die Verwertungslogik, in der wir uns befinden. Bei Open Source Hardware sollte es möglich sein, dass ich selbst ein Gerät reproduzieren kann, aber auch, dass ich gleichzeitg die Möglichkeit habe es zu kaufen. Der Übergang einer offenen Dokumention zum Produkt ist allerdings oft schwer, durch die derzeitigen Investitionsmodelle die auf IP aufbauen und weil dabei Offenheit eingebüßt wird. Es gibt zwar Geschäftsmodelle, die Open Source Hardware bereits erfolgreich integrieren, wie z.B. Arduino oder die Prusa 3D Drucker, aber es sind noch viel zu wenige und wir brauchen mehr Mut und Investitionen in diese Richtung.

Was braucht es darüber hinaus, um Open Source Hardware in der Wissenschaft voranzubringen?
Beispielsweise könnte der Großteil der aktuellen Ressourcen für Patentanwälte und Technologietransferbüros an wissenschaftlichen Einrichtungen dafür genutzt werden, um z.B. Entwickler bei der Dokumentation zu unterstützen oder für die Betreuung der Community von Open Source Hardware Projekten. Das wäre echter Technologietransfer, in der Summe deutlich effizienter und nachhaltiger. Es gibt derzeit auch keine Forschungsgelder für Nachbauten, sondern nur für “Innovationen”. D.h. im Rahmen eines typischerweise 3-Jährigen Drittmittelprojektes habe ich nicht die Zeit ein Open Source Gerät zu entwickeln, ganz zu schweigen davon, dass es schwierig wäre für eine Doktorandin oder einen Doktoranden dazu zu publizieren. D.h. notwendige aber geschlossene Geräte werden im Rahmen dieser Arbeiten beantragt und eingekauft. Wer also meine Forschungsergebnisse reproduzuieren möchte, benötigt auch solche Geräte, die natürlich teuer sind. Würde man Forschungsgelder für den Nachbau sinnvoller Infrastruktur auf Open Source Basis bereitstellen, was ja durchaus auch in Zusammenarbeit mit wirtschaftlichen Unternehmen passieren könnte und sollte, so hätten in der Summe viel mehr Forschungseinrichtungen und Forscher diese Geräte in ihren Laboren stehen und könnten somit auch die damit generierten wissenschaftlichen Ergebnisse schneller reproduzieren und weiterentwickeln.

Open Hardware und Medizintechnik: Wie die MRT-Technologie leichter zugänglich wird